Invalidenversicherung: Gebrauchsanweisung
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Ab dem Zeitpunkt, an dem bei Ihrem Kind das Fragile-X-Syndrom diagnostiziert wird, kann es eine Rente von der Invalidenversicherung (IV) erhalten. Doch wie können Sie vorgehen? Wir versuchen, mit Ihnen einen Weg durch diesen Behördendschungel zu bahnen, geben Ihnen einige Tipps und teilen unsere Erfahrungen mit Ihnen.
Die schweizerische Invalidenversicherung unterstützt Personen, die aufgrund von gesundheitlichen Problemen dauerhaft daran gehindert sind, in vollem Umfang einer Arbeit nachzugehen. Anspruch auf Leistungen der IV haben Versicherte, die wegen eines Gesundheitsschadens in ihrer Erwerbsfähigkeit oder in der Ausübung ihrer gewohnten Arbeit teilweise oder ganz eingeschränkt sind. Versicherte unter 20 Jahren können ebenfalls Leistungen der IV erhalten, wenn ihre gesundheitliche Einschränkung aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Erwerbsfähigkeit reduzieren oder verhindern wird, wobei es keine Rolle spielt, ob diese Einschränkung körperlicher, psychischer oder geistiger Natur ist oder ob sie auf ein Geburtsgebrechen, eine Krankheit oder einen Unfall zurückzuführen ist.
Versicherte, die für die alltäglichen Lebensverrichtungen (Ankleiden, Körperpflege, Essen usw.) regelmäßig der Hilfe Dritter oder ständiger Pflege oder sogar persönlicher Überwachung bedürfen, sind im Sinne der IV hilflos. Sie haben Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung. Minderjährige können ab ihrer Geburt eine Hilflosenentschädigung beziehen. Die Höhe der Hilflosenentschädigung hängt vom Grad der Hilflosigkeit (leicht, mittel oder schwer) ab. Er kann je nach Wohnort der versicherten Person (in einem Heim, zu Hause oder in einer stationären Einrichtung) variieren.
Um Leistungen der IV zu beantragen, müssen Sie bei der IV-Stelle Ihres Wohnkantons eine Anmeldung einreichen.
Sie können das Anmeldeformular auf der Website ahv-iv.ch/de/Merkblätter-Formulare/Formulare/Leistungen-der-IV → Anmeldung für Minderjährige: Hilflosenentschädigung ausfüllen.
Bemerkungen und Tipps
- Das Vorgehen kann von Kanton zu Kanton unterschiedlich sein.
- Auch Ihr Kinderarzt oder Ihre Kinderärztin wird wahrscheinlich einige Fragen beantworten müssen.
- Die IV entscheidet nicht auf der Grundlage von Syndromen, sondern auf der Grundlage von Symptomen.
- Denken Sie in jedem Fall daran, die tatsächlichen Gegebenheiten darzustellen. Als Eltern sind wir manchmal stolz auf die Fortschritte unserer Kinder oder schämen uns, über ihre Schwächen zu sprechen. Hier geht es nicht darum, die Dinge zu zeigen, die Ihr Kind gut macht, sondern darum, genau das zu zeigen, was es nicht kann, im Vergleich zu gleichaltrigen nicht vom Fragilen X-Syndrom betroffenen Kindern, damit Sie die Hilfe bekommen, auf die Sie Anspruch haben. Hier einige Beispiele für Fragen, die Sie beantworten sollten:
◦ Kann es allein duschen?
◦ Kann es allein auf die Toilette gehen?
◦ Kann er sich selbstständig anziehen?
Es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, was mit „allein“ gemeint ist. Allein bedeutet völlig selbstständig, ohne die Hilfe von jemandem. Niemand bereitet seine Kleidung vor, niemand sagt ihm, dass er duschen soll usw.
Wenn Sie alle Fragen mit Ja beantworten, wird ihr Kind als nicht berechtigt für eine Hilflosenentschädigung eingestuft werden. - Es ist sehr wichtig, die richtige Ziffer des IV-Katalogs zu finden
Die Symptome und Schwierigkeiten, mit denen Personen konfrontiert sind, die möglicherweise Hilfe von der IV erhalten, werden im IV-Register aufgelistet und jeweils einer anderen Zahl zugeordnet (z.B. im Fall vom Fragilen X-Syndrom häufig die Ziffer 405). Einige Ziffern berechtigen zum Bezug von Leistungen, andere nicht. Daher ist es wichtig, die richtige Ziffer anzukreuzen. Wenn Ihnen Leistungen verweigert werden oder der festgestellte Grad der Behinderung nicht mit der Realität übereinstimmt, in der Sie leben, zögern Sie nicht, Widerspruch einzulegen. Vielleicht haben Sie oder Ihr Arzt einfach die falsche Zahl angekreuzt bzw. führt die nähere Ueberprüfung Ihres Falls zu einem vorteilhafteren Ergebnis. - Pro Infirmis kann Ihnen helfen und Sie bei Ihren Schritten begleiten. Pro Infirmis unterstützt bei Sozialberatung, Hilfsstrukturen, direkten finanziellen Hilfen, betreutem Wohnen und vielem mehr. Der Verein gibt Ihnen Informationen über Ihre Rechte gegenüber den Sozialversicherungen (IV und Ergänzungsleistungen). Um ihn zu kontaktieren, gehen Sie auf diese Seite und wählen Sie oben rechts Ihren Wohnkanton aus: proinfirmis.ch/angebot/zuerich.html
Erfahrungsberichte
Manuela, ein erwachsener Sohn mit Fragilem X
Mein Kontakt mit Pro Infirmis besteht schon seit längerer Zeit. Ich erhielt wertvolle Informationen über meine Rechte gegenüber der Invalidenversicherung (IV), Hinweise auf Hilfsstrukturen und Erleichterungen. Außerdem erhielt ich Hilfe beim Ausfüllen der verschiedenen IV-Formulare. Damals (1984) war das noch sehr kompliziert, man musste jeden Monat ein Formular per Post zurückschicken, es gab noch keine digitale Hilfe.
Heute brauche ich keine Hilfe mehr von Pro Infirmis. Mein Sohn bezieht seit langem Ergänzungsleistungen und Hilflosenentschädigung. Die IV ist auch heute noch nicht mein Freund, aber dank moderner Technik hält sich die Bürokratie in Grenzen. Das Fragile-X-Syndrom dürfte mittlerweile bekannt sein, obwohl uns die zahlreichen Revisionen eher das Gegenteil signalisieren.
Kristin, 2 Söhne mit Fragilen X
- Kann Ihr Kind wirklich alleine duschen? Kommt es alleine aus der Dusche, wenn es fertig ist? (Meine Antwort «Nein»)
- Denkt es daran Duschgel zu benutzen und sich den ganzen Körper einzuseifen? («Nein»)
- Trocknet es sich nach dem Duschen richtig ab und zieht sich danach schnell an, ohne sich zu verkühlen? («Nein»)
- Sucht Ihr Kind für die Jahreszeit passende Kleidung aus, kann alle Knöpfe und Verschlüsse alleine schliessen? («Nein»)
Ich kam durch diese Gegenfragen darauf, dass es nicht darum geht, was mein Kind kann, sondern darum, was es im Vergleich zu anderen, nicht betroffenen Kindern eben nicht kann, und diese Punkte sollten auch im Fragenkatalog wahrheitsgemäss und detailgetreu beantwortet werden.
Mein Sohn wurde von der IV problemlos anerkannt.
Umso erstaunter war ich, dass ein paar Jahre später mein 2. Sohn, der stärker vom Fragilen X Syndrom betroffen ist, abgewiesen wurde. Mein Mann und ich haben natürlich Widerspruch eingelegt, und wir konnten es uns nicht erklären, da wir die Fragebogen gewissenhaft und mit vielen Erklärungen ausgefüllt hatten.
Nach unserer Recherche fanden wir heraus, dass der Kinderarzt unseres 2. Sohnes ( wir waren zwischen dem 1. und 2. Antrag bei der IV von Genf in den Kanton Vaud umgezogen und hatten deshalb einen neuen Kinderarzt ) auf seinem Fragebogen die falsche Ziffer des IV-Katalogs eingetragen hatte, die zur Ablehnung führte. Die Berichtigung der Ziffer sorgte dann dafür, dass unser Widerspruch erfolgreich und auch Kind Nummer 2 anerkannt wurde.
Es ist daher ratsam, den Kinderarzt darum zu bitten, dass er Ihnen vor dem Einschicken seines Fragebogens eine Kopie davon zukommen lässt und Sie diesen evtl. sogar mit Hilfe eines Mitarbeiters von Pro Infirmis überprüfen.
Wir müssen alle paar Jahre wieder Fragebögen zum momentanen Zustand unserer Jungen ausfüllen und es kommen auch von Zeit zu Zeit Mitarbeiter des Sozialdienstes zu uns, um uns im Auftrag der IV zu befragen. Diese Personen waren aber bis jetzt alle sehr freundliche, diskrete und hilfsbereite Menschen, bei denen wir nicht das Gefühl hatten, dass sie unsere Aussagen überprüfen bzw. in Frage stellen würden.